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Naturstoffe aus dem Ayurveda helfen gegen Depressionen bei Fruchtfliegen

Kooperationsprojekt der JGU und des US-Forschungszentrums BENFRA zeigt die Wirkung von Pflanzenstoffen aus der asiatischen Heilkunde bei depressionsähnlichen Zuständen

21.11.2023

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Foto/©: Helen Holvoet, Hans-Hermann Huber

Chronischer Stress führt auch bei Fliegen zu einem depressionsähnlichen Zustand, der sich in mangelnder Motivation bemerkbar macht: Die Tiere balzen weniger, sie zeigen eine geringere Bereitschaft, für Süßes zu stoppen und Nahrung aufzunehmen, und sie sind im Experiment weniger dazu bereit, Lücken zu überqueren. Heilpflanzen können diesem Zustand jedoch etwas entgegensetzen. Dies haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in einer Kooperation mit Forschenden des BENFRA Botanical Dietary Supplements Research Center in Portland, Oregon, beobachtet. Ihre Studien zeigen, dass zwei Pflanzen aus dem Ayurveda bei prophylaktischer Aufnahme eine Widerstandsfähigkeit gegenüber chronischem Stress erzeugen, sodass die gestressten Fliegen keine Depressionen entwickelten. Die Studien wurden in der Fachzeitschrift Nutrients veröffentlicht.

Pflanzen mit biologisch aktiven Inhaltsstoffen können dem Organismus bei Stress helfen

Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Roland Strauss nutzt den Modellorganismus Drosophila melanogaster, um grundlegende Mechanismen der Resilienz gegenüber Stress und der Wirkung von Stress auf das Nervensystem zu untersuchen. „Chronischer Stress führt auch bei Fliegen zu einem depressionsähnlichen Zustand, der sich in veränderten Verhaltensweisen zeigt“, erklärt der Arbeitsgruppenleiter vom Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie an der JGU. Seine Gruppe kooperierte bei ihren jüngsten Arbeiten mit dem BENFRA Botanical Dietary Supplements Research Center, einem Forschungszentrum für pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel. Es untersucht pflanzliche Stoffe, die die neurologische und funktionelle Widerstandsfähigkeit im Alter verbessern.

Ein Schwerpunkt der Mainzer Forschung liegt auf der Untersuchung von Pflanzenextrakten und Naturstoffen, die aus der traditionellen asiatischen Heilkunde bekannt sind und die auch als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden. Dahinter steht die Idee, dass manche Pflanzen überdurchschnittlich viele oder besonders biologisch aktive Inhaltsstoffe enthalten. Diese sogenannten Adaptogene können dem Organismus helfen, sich an erhöhten körperlichen und emotionalen Stress anzupassen.

„Ein Vorteil gegenüber konventionellen Pharmaka könnte darin bestehen, dass Heilpflanzen eine Mischung aus verschiedenen aktiven Pflanzenstoffen bieten, die an verschiedenen Punkten der Stressachse wirken“, sagt Helen Holvoet, Doktorandin in der Arbeitsgruppe und Erstautorin der Studien. „Weil sie synergetisch dem Stress entgegenwirken, könnten sie eventuell auch weniger Nebenwirkungen zeigen als Reinstoffe.“ Ein weiterer Vorteil wäre, dass Nahrungsergänzungsmittel begleitend zu pharmakologischen Therapien eingesetzt werden können.

Diesen Ansatz hat die AG Strauss in dem Kooperationsprojekt für zwei Pflanzen aus dem Bereich des Ayurveda getestet: für die Schlafbeere beziehungsweise Ashwagandha (Withania somnifera) und für den Indischen Wassernabel (Centella asiatica). Die Forschungspartner konnten für beide Heilpflanzen nachweisen, dass sie prophylaktisch aufgenommen eine Resilienz gegenüber chronischem Stress aufbauen, sodass die gestressten Fliegen erst gar nicht in einen depressionsartigen Zustand kommen.

Chlorogensäure als relevanter Inhaltsstoff gegen Stress identifiziert

„Für Withania somnifera konnten wir zeigen, dass die Zubereitung der Wurzelextrakte eine wichtige Rolle spielt, da Wasserextrakte eine bessere Prophylaxe vermitteln als alkoholische Extrakte“, sagt Dr. Burkhard Poeck, der ebenfalls an den Studien beteiligt war. Dieses überraschende Ergebnis zeigt, wie wichtig es ist, bei der Anwendung von Nahrungsergänzungsmitteln auf die Herstellungsweise zu achten.

Einen Schritt weiter kam die AG Strauss in der Kooperation mit den Forschenden in Portland bei der Analyse von Centella asiatica: Hier konnte tatsächlich eine Komponente, die Chlorogensäure, als prophylaktische Anti-Stress-Substanz identifiziert werden. Chlorogensäure kommt in zahlreichen Pflanzen vor, in hohen Konzentrationen vor allem in Kaffeebohnen, aber auch in altbewährten Heilkräutern wie dem Baldrian (Valeriana officinalis) oder dem Johanniskraut (Hypericum perforatum), dessen stresslindernde Wirkung schon lange bekannt ist.

Neben der allgemeinen Erkenntnis zu der Wirkung von gut analysierten und überwachten Heilstoffen bei neuronalem Stress kann die Analyse von Heilstoffen auch Impulse für die Grundlagenforschung zur Resilienz liefern. „So konnten wir mit der Proteinphosphatase Calcineurin ein relevantes Zielprotein der Chlorogensäure bei Drosophila identifizieren“, erklärt Roland Strauss zu den weiteren Forschungen. Calcineurin ist beim Menschen in vielen Organen und besonders konzentriert im Nervensystem zu finden. Dort interagiert es mit einer Vielzahl von anderen Proteinen und Signalwegen.

 

Depressionen besser verstehen

Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz untersuchen Linderung depressiver Zustände anhand von Drosophila-Fliegen

02.08.2022

Auf den ersten Blick haben Menschen und Taufliegen nicht viel gemeinsam. Und doch lässt sich anhand der Fliegen viel über den Menschen herausfinden, etwa wenn es um Depressionen geht. So arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) daran, dem Verständnis und damit der Behandlung depressiver Zustände näherzukommen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der renommierten Zeitschrift Current Biology veröffentlicht.

Naturstoffe aus asiatischer Heilkunde könnten helfen

"Anhand der Drosophila-Fliege untersuchen wir unter anderem Naturstoffe aus der traditionellen asiatischen Heilkunde – etwa aus dem Bereich des Ayurveda", erläutert Prof. Dr. Roland Strauss vom Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie der JGU. "Einige könnten antidepressiv wirken oder prophylaktisch die Resilienz gegenüber chronischem Stress stärken, es kommt also erst gar nicht zu einem depressionsartigen Zustand." Eines der Ziele ist es, die Wirkung der Stoffe nachzuweisen, die optimale Zubereitung herauszufinden und die Reinstoffe zu isolieren, die die Wirkung innerhalb des Pflanzenmaterials verursachen. Dann könnten diese langfristig als Medikament auf den Markt gebracht werden. Doch der Weg dahin ist noch weit – schließlich handelt es sich um Grundlagenforschung.

"Bei der Drosophila-Fliege können wir genau untersuchen, wo die jeweiligen Stoffe eingreifen, denn wir können die gesamte Signalkette analysieren", erklärt Strauss. „Und: Jeder Schritt im Signalpfad kann auch bewiesen werden." Die Forschenden setzen die Fliegen mildem wiederkehrenden Stress aus – etwa unregelmäßig auftretenden Vibrationen der Unterlage. Daraufhin bilden die Drosophila einen depressionsartigen Zustand aus: Sie laufen langsamer, bleiben für zufällig entdeckten Zucker nicht stehen, klettern anders als entspannte Artgenossen nicht über Lücken. Wie ändert sich das Verhalten, wenn die Fliegen die verschiedenen Naturstoffe erhalten? Das Ergebnis: Es kommt entscheidend auf die Zubereitung des Naturstoffs an, beispielsweise ob dieser mit Wasser oder mit Alkohol extrahiert worden ist.

Abendliche Belohnung verhindert Depressionen

Was die Forschenden außerdem herausfanden: Belohnen sie die Fliegen am Abend eines stressigen Tages für eine halbe Stunde – geben sie ihnen also Futter mit höherem Zuckergehalt als üblich – oder aktivieren sie jeweils den Signalpfad für Belohnung, verhindert dies den depressionsartigen Zustand. Doch was geschieht, wenn die Fliege Zucker bekommt? Bekannt waren die Zuckerrezeptoren an den Tarsen und am Rüssel sowie das Ende des Signalwegs, bei dem Serotonin in die Pilzkörper ausgeschüttet wird. Die Pilzkörper sind das Lernzentrum der Fliege, sie entsprechen dem Hippocampus des Menschen.

Doch ist der Weg – wie die Untersuchungen zeigten – wesentlich komplexer als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anfangs vermuteten. Drei verschiedene Neurotransmittersysteme sind beteiligt, bis der Serotoninmangel, der bei Fliegen in einem depressionsartigen Zustand herrscht, an den Pilzkörpern durch Belohnung ausgeglichen wird – unter anderem durch Dopamin, das auch beim Menschen Belohnung signalisiert. Diese Erkenntnisse aus der Fliegenforschung sollten allerdings Menschen keinesfalls dazu verleiten, besonders zuckerhaltige Nahrung zu sich zu nehmen. Die Süße wird von der Fliege als Belohnung empfunden, die Menschen auf eine gesündere Art erlangen können.

Resilienz stärken: Wie kann man Depressionen vorbeugen?

Zudem suchen die Forschenden nach Resilienzfaktoren im Genom. Denn genau wie die Menschen haben auch Drosophila eine individuelle genetische Ausstattung – keine zwei Fliegen sind gleich. Die Forschenden fragen sich, wie sich die Genome von Fliegen, die Stress besser aushalten, von Genomen derjenigen Fliegen, die auf wiederkehrenden milden Stress mit depressiven Zuständen reagieren, unterscheiden. Langfristig könnte es somit möglich sein, die genetische Anfälligkeit von Menschen für depressive Erkrankungen zu untersuchen – und etwa mit den ebenfalls im Projekt untersuchten Naturstoffen vorzubeugen.

 

Gedächtnisforschung: Fruchtfliegen lernen ihre Körpergröße einmal für das ganze Leben

Drosophila melanogaster entwickelt stabiles Langzeitgedächtnis für Körpergröße und Reichweite durch Bewegungsparallaxe beim Gehen

07.08.2019

Um sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden und zu überleben, müssen Tiere eine Vorstellung von ihrer eigenen Körpergröße entwickeln. Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigen, dass die Fruchtfliege Drosophila melanogaster ein sehr stabiles Langzeitgedächtnis für die eigene Körpergröße und Reichweite der Gliedmaßen entwickelt, nachdem sie aus ihrer Verpuppung geschlüpft ist. Dieses Gedächtnis wird durch das visuelle Feedback beim Gehen erworben, ist aber in den ersten zwei Stunden nach einem entsprechenden Training noch stressanfällig und noch nicht fest verankert. "Wenn das Gedächtnis einmal gefestigt ist, scheint es nach unserer Beobachtung ein Leben lang erhalten zu bleiben", teilt Prof. Dr. Roland Strauss von der JGU mit. "Die Insekten haben sich für den Rest ihres Lebens geeicht." Etwas rätselhaft ist allerdings, dass der Zugriff auf das erworbene Wissen erst zwölf Stunden nach dem Training möglich ist. Was in der Zwischenzeit im Gehirn abläuft, ist noch ungeklärt.

Drosophila melanogaster dient den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Arbeitsgruppe von Roland Strauss als Modell, um Prozesse der Erinnerung und Funktionen des Gedächtnisses zu studieren, wie sie teilweise auch beim Menschen bekannt sind. So wurde in früheren Studien gezeigt, dass das Kurzzeitgedächtnis von Fruchtfliegen altersbedingt nachlässt und dabei ein ähnliches Protein wie beim Menschen eine Rolle spielt.

In der neuen Untersuchung haben Tammo Krause und Laura Spindler das Körpergedächtnis von Drosophila erforscht. Fruchtfliegen sind Insekten, die eine vollständige Metamorphose durchmachen: Die Tiere durchleben drei Larvenstadien, in dieser Zeit wachsen sie. Dann erfolgt die Verpuppung, an deren Ende die Fruchtfliege schlüpft. Wegen des harten Außenskeletts kann sich die Körpergröße jetzt nicht mehr verändern, sie variiert allerdings, je nachdem wie die Nahrungsversorgung während der Larvenzeit war.

Bein-über-Kopf-Verhalten weist auf Kletterabsicht hin

"Wir wollten wissen, wie die Insekten das Wissen über ihre Körpergröße erwerben und sich daran auch später noch erinnern", erklären Tammo Krause und Laura Spindler. Sie beobachteten, wie die Insekten unter verschiedenen Bedingungen versuchen, einen kleinen Graben zu überwinden, der größer ist als ihre Schrittlänge. Drosophila zeigt in einem solchen Fall ein stereotypes Verhalten: Um den Kletterversuch einzuleiten, erfolgen zunächst Suchbewegungen mit den Vorderbeinen über den Kopf hinweg. Falls der Graben entschieden zu breit ist, ist dieses typische Verhalten nicht zu sehen – die Fliegen wenden sich dann einfach ab.

Wissen über die Körpergröße wird durch visuelles Feedback gelernt

Drosophila lernt, so zeigen die Ergebnisse, die Entfernung über den Graben hinweg und die Reichweite ihrer Beine einzuschätzen, indem sie die visuellen Informationen aus der Umgebung wie beispielsweise ein Streifenmuster mit ihrer Körpergröße verknüpft. Frisch geschlüpfte und im Dunkeln aufgezogene Fruchtfliegen überschätzen ihre Körpergröße und versuchen wesentlich häufiger, einen viel zu großen Graben zu überwinden, als Tiere, die bei normalem Tag-Nacht-Rhythmus aufgezogen wurden. Der Lernprozess erfolgt über die Bewegungsparallaxe, die Strukturen in der Umwelt beim Gehen auf der Netzhaut erzeugen. Dies bestätigt ein Experiment, bei dem die Bewegungsparallaxe während des Lernprozesses manipuliert und künstlich verringert wurde: Die Fliegen unterschätzten ihre Körpergröße und unternahmen weniger Kletterversuche.

"Wenn die Fruchtfliege aus ihrer Verpuppung schlüpft und sich im Raum bewegt, wird die Bewegung vom Auge erfasst und die Fliege kann sich praktisch eichen", erläutert Roland Strauss. "Wenn diese Eichung einmal erfolgt ist, bleibt das Wissen für den Rest des Lebens erhalten." Dies zeigte ein weiterer Versuch, bei dem die Fruchtfliegen nach drei Tagen unter normalen Lichtverhältnissen 21 Tage im Dunkeln verbringen mussten – und nach dieser langen Zeit trotzdem die gleiche Anzahl von Kletterversuchen unternahmen wie drei Tage alte Fliegen. "Wir nehmen daher an, dass das Gedächtnis für die eigene Körpergröße das dauerhafteste Gedächtnis ist, das bisher für Drosophila beschrieben wurde", heißt es in einem Beitrag der beiden Erstautoren Tammo Krause und Laura Spindler für das Fachmagazin Current Biology.

Körpergedächtnis erst nach zwölf Stunden verfügbar

Die Neurobiologen entdeckten weitere Mechanismen, die neue Fragen aufwerfen. Die Konsolidierung des Gedächtnisses ist in den ersten zwei Stunden nach dem Training noch stressanfällig. Das heißt, durch Stress kann es in dieser Zeit wieder gelöscht werden. Ist das Gelernte aber erst einmal verankert, können die Fruchtfliegen zwölf Stunden nach Trainingsende für immer darauf zugreifen. Was passiert in der Zwischenzeit? Wie erfolgt die dauerhafte Verankerung des Gelernten im Gehirn? "Uns interessieren die epigenetischen Bedingungen, die zu einem langlebigen Gedächtnis führen. Daran werden wir weiter arbeiten", kündigt Roland Strauss an.

 

APP-ähnliches Protein ist bei Drosophila als Gesamtprotein für die Aufrechterhaltung des Arbeitsgedächtnisses notwendig und verhindert altersbedingte Gedächtnisschwäche.

14.03.2018

Nicht nur beim Menschen lässt das Gedächtnis mit zunehmendem Alter nach. Auch Tiere entwickeln eine altersabhängige Gedächtnisschwäche, so auch die Fruchtfliege Drosophila melanogaster . Im mittleren Lebensalter zwischen 30 und 40 Tagen zeigen die Insekten Defizite beim mittel- und langfristigen Geruchsgedächtnis. Aber auch das kurzfristige Orientierungsgedächtnis leidet unter Altersschwäche, fanden Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) heraus. Wie sie feststellten, steht ein Protein, das bei der Alzheimer-Krankheit eine wichtige Rolle spielt, in seiner natürlichen Funktion ebenfalls bei Drosophila im Zentrum des Geschehens.

Fruchtfliegen können sich recht gut daran erinnern, wohin sie eigentlich gehen wollten, wenn sie von ihrem Ziel zwischenzeitlich abgelenkt werden. Das visuelle Arbeitsgedächtnis speichert die Richtung für etwa vier Sekunden. Neurobiologen um Prof. Dr. Roland Strauss von der JGU haben junge und alte Fruchtfliegen einem Test unterzogen. Sie zeigten den Tieren in einer kreisförmigen Versuchsanordnung einen Orientierungspunkt. Sobald der erste Orientierungspunkt verschwindet, richtet sich die Fliege auf den neu erscheinenden zweiten Punkt aus. Verschwindet dieser zweite Orientierungspunkt ebenfalls, dann sind junge Fliegen zu etwa 80 Prozent in der Lage, sich an die Position ihres ursprünglichen Zielpunkts zu erinnern und bewegen sich darauf zu. Ältere Fliegen hatten dagegen Probleme: Tiere im Alter von vier Wochen hatten ein deutlich schwächeres Gedächtnis und im Alter von sechs Wochen einen kompletten Erinnerungsverlust.

Spaltung von APP-ähnlichem Protein nimmt im Alter zu und geht mit Gedächtnisabbau einher

„Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass sich das visuelle Arbeitsgedächtnis mit dem Alter verschlechtert“, teilt Franziska Rieche, Erstautorin der Studie, dazu mit. „Wir haben darüber hinaus entdeckt, dass dieser Gedächtnisabbau unterbunden werden kann.“ Zentrale Rolle spielt hier ein Protein, das beim Menschen als Amyloid-Vorläuferprotein oder „Amyloid Precursor Protein“ (APP) bezeichnet wird. Drosophila verfügt in ihren Nervenzellen über ein APP-ähnliches Protein. Wie Franziska Rieche zeigt, geht der Verfall des Arbeitsgedächtnisses bei zunehmendem Alter mit einer vermehrten Spaltung des Gesamtproteins in Teilproteine einher. Wurde diese Prozessierung vermindert, hatten auch alte Fliegen noch ein perfektes Gedächtnis. Wurde die Prozessierung beschleunigt, ging der Niedergang schneller vonstatten. Verantwortlich dafür sind drei Enzyme, sogenannte Sekretasen, die das Protein in Fragmente zerlegen. Je mehr Enzyme, desto mehr Fragmente entstehen.

„Die Art und Weise, wie das Vollprotein von den Enzymen zu Fragmenten gespalten wird, erfolgt bei Drosophila ganz ähnlich wie beim menschlichen APP“, so Rieche. Beim Menschen wird das ß-Amyloid, das zwei Enzyme aus APP herausschneiden, für die Bildung von Plaques bei Alzheimer verantwortlich gemacht.

Für eine gute Funktion des Kurzzeitgedächtnisses bei der Fruchtfliege ist also das APP-ähnliche Protein in voller Länge nötig. Versuche mit einer Proteinvariante, die nicht zerschnitten werden kann, verhinderten dementsprechend den Gedächtniszerfall. Rieche hat außerdem einen Wirkmechanismus gefunden, wonach das APP-ähnliche Protein den Fasziklin-II-Rezeptor in der Zellmembran unterdrückt und umgekehrt, dass eine stärkere Prozessierung des APP-ähnlichen Proteins die Fasziklin-II-Unterdrückung vermindert und dadurch der Gedächtnisabbau in Gang gesetzt wird.

System der Gedächtnisregulation seit 580 Millionen Jahren erhalten

„Es ist absolut erstaunlich, dass sich solch ein System der Gedächtnisregulation über 580 Millionen Jahre bis heute konserviert hat“, bemerkt Arbeitsgruppenleiter Roland Strauss zu der großen Ähnlichkeit des Mechanismus, einschließlich der Proteine und Sekretasen, bei Drosophila und beim Menschen. Vor etwa 580 Millionen Jahren haben sich die beiden Stammbäume getrennt. Strauss merkt außerdem an, dass die jetzigen Ergebnisse zur natürlichen Funktion speziell auf das visuelle Arbeitsgedächtnis der Fruchtfliegen zutreffen, das sich in 40 Ringneuronen, 20 in jeder Gehirnhälfte, befindet.

„Das Spannende ist jetzt herauszufinden, welche Prozessierung andere Gedächtnisformen benötigen“, so Strauss. „Wir arbeiten aktuell am Langzeitgedächtnis, dessen Zellen kein Fasziklin enthalten und das daher einen anderen Wirkmechanismus aufweisen muss.“ Die präzise Regulation von APP-ähnlichem Protein scheint jedenfalls für alle Gedächtnisformen wichtig zu sein, auch wenn sie unterschiedliche Anforderungen an die Prozessierung stellen.

 

Stressinduzierter depressionsartiger Zustand wird über Serotonin gesteuert und kann durch Lithium-Medikation behandelt werden

07.06.2017

Foto/©: Tim Hermanns

Anhaltender Stress löst bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster einen depressionsartigen Zustand aus, der sich in einem veränderten Verhalten beim Klettern, Laufen und der Balz zeigt. Dies ergab eine Studie von Neurobiologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Wie beim Menschen auch, geht der depressionsähnliche Zustand bei Drosophila mit einem Serotoninmangel einher und kann durch Antidepressiva behoben werden. Aber auch die Fütterung von Zucker bringt eine Verbesserung, die fast so wirksam ist wie die Behandlung der Fliegen mit Lithium. Diese Substanz wird seit rund 50 Jahren bei Patienten mit bipolaren Störungen oder Depression erfolgreich eingesetzt. Die Wissenschaftler hoffen, dass aufbauend auf den neuen Erkenntnissen künftig Strategien entwickelt werden können, um die Widerstandsfähigkeit, die sogenannte Resilienz, gegen Stress und depressive Erkrankungen zu stärken.

Drosophila melanogaster wird im Labor seit über 100 Jahren als Modellorganismus verwendet, um genetische, entwicklungs- und neurobiologische Fragestellungen zu untersuchen. Die Mainzer Biologen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Roland Strauss haben für ihre Depressionsstudie die Fliegen über mehrere Tage hinweg unkontrollierbarem Stress ausgeliefert, der durch wiederholte Vibrationen von 300 Hertz hervorgerufen wurde. Im Verlauf von drei Stresstagen nahm die Bereitschaft der Tiere, eine Lücke einer bestimmten Breite zu überklettern, kontinuierlich von 50 auf 30 Prozent ab. Aber nicht nur die Kletterversuche gingen zurück, die gestressten Fliegen zeigten sich auch in ihrer Laufaktivität und dem Balzverhalten weniger motiviert als die nicht gestresste Kontrollgruppe. Das Fluchtverhalten hingegen funktionierte normal, die Fliegen waren also nicht körperlich beeinträchtigt. "Die Fruchtfliegen zeigen unter Stresseinfluss alle Anzeichen einer Depression. Verhaltensweisen, die selbst erzeugt sind und Motivation erfordern, also nicht wie Fluchtverhalten von außen stimuliert sind, werden massiv reduziert", erklärt Ariane-Saskia Ries, Erstautorin der Studie.

Motivationsdefizit durch Gabe von Lithiumchlorid oder Verfütterung von Zucker behoben

Im nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler, ob sich der depressionsähnliche Zustand der Fliegen durch Medikation mit Lithium verbessern lässt. Lithium wird als Lithiumchlorid bei depressiven oder manisch-depressiven Patienten erfolgreich eingesetzt, die genaue Wirkungsweise ist allerdings unbekannt. Nach dreitägigem Stress brachte die Verabreichung von 50 tausendstel Mol Lithiumchlorid nicht nur eine Erleichterung von dem depressionsartigen Zustand, sondern führte darüber hinaus zu manischem Kletterverhalten. Die Gabe von nur 5 tausendstel Mol reichte aus, um die gestressten Fliegen zu entlasten und die normale Klettermotivation wieder herzustellen. "Wir können sowohl manisches Verhalten als auch eine normale Entspannung von depressionsartigen Zuständen gezielt auslösen. Daher ist anzunehmen, dass sowohl beim Menschen als auch bei gestressten Fliegen biochemische Signalwege, die evolutionsgeschichtlich seit alters her erhalten sind, eine Rolle spielen", teilt Roland Strauss dazu mit. Dies öffnet die Türe, um die genetischen Ursachen der Lithiumtoxizität und die Funktionsweise von Lithium in der Therapie zu erforschen.

Eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im Gehirn und damit für das Motivationssystem spielt der Neurotransmitter Serotonin. Ein Mangel wird bei Säugetieren als Ursache von Depressionserkrankungen angenommen. Wurden die gestressten Fliegen mit dem Serotoninvorläufer L-5-Hydroxytryptophan gefüttert, konnten sie sich ebenfalls von dem depressionsartigen Zustand erholen. Fast der gleiche Effekt stellte sich mit einer fünfprozentigen Zuckerlösung ein – eine Zufallsentdeckung, weil die Wissenschaftler L-5-Hydroxytryptophan zunächst mit zuckerhaltiger, blauer Lebensmittelfarbe markiert hatten. Bei regelmäßiger Zuckergabe nach Stressattacken ist sogar eine präventive Wirkung zu erzielen.

Ein Mangel an Serotonin zeigt sich bei depressionsartigen Zuständen nur in einem bestimmten Areal des Gehirns von Drosophila, dem Alpha-Lobus des Pilzkörpers. Der Pilzkörper ist die wichtigste Lernstation des Gehirns und vergleichbar mit dem Hippocampus der Wirbeltiere. Eine Aktivierung des Alpha-Lobus, zum Beispiel durch Zucker, fördert das Kletterverhalten von Drosophila, während eine Aktivierung des Gamma-Lobus die Klettertätigkeit hemmt. Ist der Gamma-Lobus komplett zerstört, kann auch keine Depression mehr ausgelöst werden. "Das Serotoninsystem hält die Tiere in der Balance. Ein bisschen Stress ist gesund und fördert die Aktivität, zu viel Stress dagegen verursacht Depressionen und Antriebslosigkeit", fasst Strauss zusammen. Auf der Basis dieser Ergebnisse wollen die Mainzer Neurobiologen als nächstes untersuchen, wie es genau zur Akkumulation von Stress als Auslöser von Erkrankungen kommt.

 

Gasförmige Neurotransmitter spielen wichtige Rolle für das kurzfristige Ortsgedächtnis von Drosophila / Biochemische Prozesse entschlüsselt

24.02.2017

Insekten besitzen ein Gedächtnis zur Orientierung im Raum, das ihnen bei einer kurzen Ablenkung hilft, sich an den ursprünglichen Weg zu erinnern. Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster untersucht, wie dieses Arbeitsgedächtnis auf biochemischer Ebene funktioniert. Sie haben dabei zwei gasförmige Botenstoffe gefunden, die für die Signalvermittlung in den Nervenzellen eine wichtige Rolle spielen: Stickoxid und Schwefelwasserstoff. Das kurzzeitige Arbeitsgedächtnis wird über die Botenstoffe in wenigen ringförmigen Neuronen des Ellipsoidkörpers im Zentralhirn von Drosophila gebildet.

Fliegen bilden ein Gedächtnis für Orte, die sie gerade ansteuern wollen. Diese Erinnerung hält für ungefähr vier Sekunden an. Wird eine Fliege beispielsweise auf ihrem Weg für eine Sekunde abgelenkt, kann sie anschließend die zuvor eingeschlagene Richtung wieder aufnehmen. "Dieses Erinnerungsvermögen ist für uns die Eintrittskarte, um die Biochemie eines Arbeitsgedächtnisses zu untersuchen", sagt Prof. Dr. Roland Strauss vom Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie der JGU zu dem Forschungsziel. Insbesondere interessiert sich der Wissenschaftler dafür, wie ein Netzwerk im Insektengehirn ein solches Ortsgedächtnis bilden kann und wie genau die biochemischen Abläufe funktionieren.

Bei den Untersuchungen im Rahmen ihrer Doktorarbeit fand Dr. Sara Kuntz überraschenderweise zwei gasförmige Neurotransmitter, die bei der Informationsübertragung mitwirken. Diese gasförmigen Botenstoffe gehen nicht den ansonsten üblichen Weg der Signalvermittlung via synaptischen Spalt, sondern können ohne an Rezeptoren anzudocken direkt durch die Membran der benachbarten Nervenzelle diffundieren. Von Stickoxid (NO) ist bereits bekannt, dass es zur Rückkopplung von Informationen zwischen zwei Nervenzellen für die Gedächtnisbildung benötigt wird. Neu ist, dass NO hier auch als sekundärer Botenstoff an der Verstärkung der Ausgangssignale von Nervenzellen beteiligt ist.

Diese Funktion von Stickoxid kann offenbar ebenso von Schwefelwasserstoff (H2S) übernommen werden. Von dem Gas wusste man bislang nur, dass es bei der Steuerung des Blutdrucks eine Rolle spielt, nicht jedoch im Nervensystem. "Eigentlich dachte man, Schwefelwasserstoff sei im Nervensystem schädlich. Aber in unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass es als sekundärer Botenstoff von Bedeutung ist", so Strauss. "Wir waren verblüfft, gleich zwei gasförmige Neurotransmitter für das Gedächtnis zu finden."

Biochemischer Signalweg für das visuelle Arbeitsgedächtnis

Strauss und seine Mitarbeiter nehmen an, dass die beiden Neurotransmitter zusammen mit zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) die ideale Speicherform für kurzzeitige Erinnerungen bilden. Der Ablauf funktioniert dann folgendermaßen: Die Fruchtfliege sieht einen Orientierungspunkt und bewegt sich in diese Richtung, worauf Stickoxid gebildet wird. Das Stickoxid aktiviert ein Enzym, das wiederum cGMP herstellt. Entweder Stickoxid selbst oder cGMP reichern sich jetzt in einem Segment des Donut-förmigen Ellipsoidkörpers an, das dem eingeschlagenen Weg entspricht. Der Ellipsoidkörper befindet sich im Zentralkomplex des Insektenhirns und ist in 16 Segmente aufgeteilt, in etwa vergleichbar mit Kuchenstücken, die für 16 Raumrichtungen stehen. Nun wird die Fliege auf ihrem Weg kurz abgelenkt, indem der erste Orientierungspunkt verschwindet und ein zweiter – beispielsweise im rechten Winkel dazu – für eine Sekunde auftaucht. Drosophila kann dann die ursprüngliche Orientierung wiederfinden, weil sich in dem entsprechenden Segment NO oder cGMP in vergleichsweise großer Menge angereichert hatte.

Das alles funktioniert jedoch nur unter einer Bedingung: Die Erinnerung wird nur abgerufen, wenn die Fliege zwischenzeitlich nichts mehr sieht, also wenn auch der zweite Orientierungspunkt verschwindet. "In dem Moment, wenn nichts mehr zu sehen ist, wird das Gedächtnis genutzt, das bis zu vier Sekunden problemlos überbrückt", erklärt Dr. Sara Kuntz, Erstautorin der Studie, mit einem Hinweis darauf, dass diese kurze Zeitspanne von vier Sekunden dem Problem absolut angemessen ist. "Der Ellipsoidkörper hält dann die Sicherungskopie bereit, um die kurze Unterbrechung zu überbrücken." Da sich Objekte auch weiterbewegen können, ist ein längeres Arbeitsgedächtnis nicht sinnvoll.

 

Mainzer Neurobiologie an EU-gefördertem Forscher-Erstausbildungsnetz in den systemischen Neurowissenschaften beteiligt

09.02.2012

Acht europäische Forschungseinrichtungen, darunter die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), und drei industrielle Partner haben sich in einem EU-Projekt zusammengeschlossen, um jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein herausragendes Forschungsumfeld auf dem Gebiet der systemischen Neurowissenschaften zu bieten. Das Projekt mit der Bezeichnung "FLiACT" wird von der EU durch Marie-Curie-Maßnahmen für vier Jahre gefördert. Die beteiligten Partner arbeiten an unterschiedlichen, sich ergänzenden Fragen der Neurowissenschaft von der Molekulargenetik bis zum Bioengineering. Als Modellorganismus dient dabei das Nervensystem der Taufliege Drosophila melanogaster. Das Ziel von FLiACT ist es, ein einmaliges Ausbildungsnetzwerk zu schaffen, um neue Forschungsgebiete zu fördern und die Beziehungen zu anderen Forschungseinrichtungen zu stärken. An der JGU ist die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Roland Strauss am Institut für Zoologie mit ihrem Schwerpunkt Neurobiologie an dem Netzwerk beteiligt.

Das Verständnis der Gehirnfunktionen gehört aktuell zu den größten Herausforderungen in der Forschung. Um die Abläufe zu verstehen, werden verschiedene Ebenen betrachtet, angefangen von den genetischen Grundlagen, über biochemische Signalwege und Nervenbahnen bis zur Ausprägung eines bestimmten Verhaltens. Für die Untersuchungen, wie wir Informationen von Sinneswahrnehmungen aufnehmen und verarbeiten, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Taufliege Drosophila als der herausragende Modellorganismus etabliert. Drosophila, auch als "Fruchtfliege" bezeichnet, gilt mittlerweile außerdem als außerordentlich hilfreich, um die genetischen Grundlagen von neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz zu erforschen. Zwar hat das menschliche Gehirn eine Million Mal mehr Neuronen als Drosophila, wegen der gemeinsamen Bauprinzipien ermöglicht es die Untersuchung des Minigehirns aber, komplexe Gehirnfunktionen zu verstehen.

Zwölf junge europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun durch FLiACT die Chance, eine Doktorarbeit auf dem neuesten Stand der Neurowissenschaften aufzunehmen. Die Teilnehmer werden einen großen Teil ihrer Arbeit in Kooperation mit den Partnereinrichtungen erstellen, bspw. durch gemeinsame Experimente. Sie werden in interdisziplinären Workshops darin geschult, sich innovative Technologien im Bereich Neurogenetik, Neuroanatomie, Neuroimaging und Verhaltensanalyse anzueignen und von den industriellen Partnern in dem Projekt z.B. in Fragen zum Technologietransfer oder Projektmanagement unterrichtet. Kooperationsmöglichkeiten bestehen zudem mit dem US-Forschungsinstitut Janelia Farm Research Campus.

Die Arbeitsgruppe von Roland Strauss trägt mit ihren Forschungen über die Biochemie des Lernens und die zugrunde liegenden neuronalen Netzwerke zu dem Projekt bei. Untersucht werden verschiedene Gedächtnisleistungen von wenigen Sekunden bis zu lebenslänglicher Dauer. "Motorisches Lernen durch wiederholtes Üben kann bei Fliegen zum Beispiel lebenslänglich kompliziertes Kletterverhalten verbessern", erklärt Strauss. Die Insekten sind auch in der Lage, sich den Standort eines Objekts zu merken und sich daran zu orientieren, was als eine Gedächtnisleistung verstanden wird. Untersuchungen in Mainz haben gezeigt, dass Fliegen die Position eines Objekts noch für mehrere Sekunden erinnern, nachdem das Objekt aus ihrer Umgebung entfernt worden ist. Die Wissenschaftler stellten fest, dass dieses Orientierungsgedächtnis von einer kleinen Gruppe Neuronen gebildet wird. "Das neue EU-Netzwerk wird unsere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Forschungsgruppen voranbringen und so zu einem besseren Verständnis davon führen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet und behält", erwartet der Mainzer Neurobiologe.

Das Projekt FLiACT (Systems neuroscience of Drosophila: from genes to circuits to behaviors) ist ein von der EU gefördertes Forscher-Erstausbildungsnetz (Initial Training Network - ITN). Die Koordination liegt bei Dr. Matthieu Louis vom Centre for Genomic Regulation in Barcelona, Spanien.

 

Erstmals Orientierungsgedächtnis bei Drosophila nachgewiesen - Online-Veröffentlichung des Wissenschaftsjournals Nature

03.06.2008

Um in ihrer Umgebung zurechtzukommen, müssen sich Tiere den Ort eines angestrebten Ziels merken können für den Fall, dass sie es vorübergehend aus dem Auge verlieren. Diese Fähigkeit, als Orientierungsgedächtnis bezeichnet, ist von Primaten bekannt und wurde nun auch bei Taufliegen nachgewiesen. "Wir können jetzt tatsächlich sagen: Fliegen haben ein Orientierungsgedächtnis", teilt Prof. Dr. Roland Strauss vom Institut für Zoologie der Universität Mainz mit. Untersuchungen seiner Arbeitsgruppe haben gezeigt, dass Fliegen die Position eines Objekts für mehrere Sekunden erinnert haben, nachdem das Objekt aus ihrer Umgebung entfernt worden war. Die Wissenschaftler stellten zudem fest, dass dieses Orientierungsgedächtnis von einer kleinen Gruppe Neuronen gebildet wird. Die Ergebnisse der Mainzer Neurobiologen hat das Wissenschaftsjournal Nature vergangene Woche online veröffentlicht.

Für ihre Untersuchungen haben die Wissenschaftler um Roland Strauss aus einem zylinderförmigen Bildschirm eine Art 360-Grad-Kino konstruiert und das Untersuchungsobjekt, die Taufliege Drosophila melanogaster, in diesen Zylinder gesetzt. Der Fliege wurden nun visuelle Objekte in Form vertikaler schwarzer Streifen gezeigt. "Wir haben zwei Objekte an unterschiedlichen Stellen präsentiert und beide nacheinander verschwinden lassen. Nachdem das erste Objekt nicht mehr zu sehen war, orientierte sich die Fliege auf das zweite hin. Als dieses ebenfalls entfernt wurde, ging die Fliege wieder in Richtung auf das erste Objekt, obwohl es nicht mehr zu sehen war", beschreibt Strauss die Versuchsanordnung. Das Verhalten der Fliegen, die in der Umgangssprache auch als Fruchtfliegen bezeichnet werden, lässt darauf schließen, dass sie die Position ihres ersten Ziels für mindestens vier Sekunden in einem Orientierungsgedächtnis speichern. Vermutet wird, dass sich die Tiere durch diese Fähigkeit auch in einer komplexen natürlichen Umgebung auf ihr Ziel hinbewegen können, auch wenn sie es vorübergehend nicht sehen und selbst wenn sie einen Umweg zurücklegen müssen. "Die Strategie wird auch als Wegintegration bezeichnet und ist von anderen Insekten wie Ameisen und Bienen bekannt", so Strauss.

Davon ausgehend, dass ein Signalweg benutzt wird, der für operantes Lernen, also Lernen durch Ausprobieren, zuständig ist, konnten die Wissenschaftler außerdem die zuständige Gehirnregion für diese Fähigkeit lokalisieren. Zuständig ist demnach eine kleine Gruppe von 40 Neuronen im sogenannten Ellipsoidkörper des Fliegengehirns. Hierbei spielen die Ringneuronen im Ellipsoidkörper eine wesentliche Rolle als "Prozessoren" der Impulse. "An dieser Stelle ist das Gedächtnis vorhanden. Ist diese Stelle gestört, findet kein Erinnern statt. Ist sie intakt, genügt die kleine Anzahl von Zellen für ein funktionierendes Orientierungsgedächtnis." Die Neurobiologen vermuten, dass das gleiche Neurotransmittersystem, das für das visuelle Orientierungsgedächtnis im prä-frontalen Cortex von Affen verantwortlich ist, auch für das Orientierungsgedächtnis im Zentralkomplex der Fliegen zuständig ist.